ITAY DVORI

7AUF1STRICH – das sind täglich 7 Fragen an Comic-Zeichner*innen und Illustrator*innen. Normalerweise. Manchmal stelle ich allerdings auch andere Menschen vor, die irgendwie mit der Comic-Szene zu tun haben. Diesmal: Itay Dvori.

Der Pianist Itay Dvori hat Musik zu Comics von zahlreichen internationalen Zeichner:innen komponiert und das Genre des Comic-Konzerts erfunden. Er lebt in Berlin.

Wie ist deine Leidenschaft für Comics entstanden?

In meiner Kindheit im Israel der 80er-Jahre waren nicht überall Comics zu finden. Es gab überhaupt nur sehr wenige israelische Comics. Ich kann mich erinnern dass mir ein Freund einen satirischen Comic-Band von Dudu Geva – der als einer der wichtigste Väter der Comicszene in Israel gilt – ausgeliehen hatte; es war der erste Comic, den ich las. Eigentlich war dieses Buch für Erwachsenen gedacht und ich konnte mit 9 oder 10 Jahren viele Witze gar nicht verstehen. Aber es gefiel mir unheimlich, dieses Format von kurzen witzigen Strips und diese Korrelation zwischen Bild und Text. Gelesen habe ich als Kind sowieso sehr gern. Die Begegnung mit dem Dudu-Geva-Comic war so spannend für mich, dass ich schnell angefangen habe, selbst Comic zu zeichnen. In der 5. Klasse publizierte ich dann auf dem Schwarzen Brett unserer Klasse eine Comic-Reihe in 15 Kapiteln über ein Detektiv-Katze; und ich war sehr stolz darauf, dass es viele „Follower“ in meiner Klasse gab, sogar Mädchen lasen es… Es war wahrscheinlich nicht so schlecht geschrieben (ich hatte zuvor als Kind schon viele Gedichte geschrieben), aber zeichnerisch war ich nie besonders begabt. Ich interessierte mich immer mehr für Comics und las dann gerne Garfield und danach auch Mad, aber Helden-Comics zogen mich nicht sehr an. Später entdeckte ich mit Begeisterung auch Maus von Art Spiegelman und seine anthologische Comic-Zeitschrift Raw. Nach und nach schwächte diese Leidenschaft für Comics ab; und die Musik wurde dominanter in meinem Leben. Jahre später entdeckte ich Comics und Graphic Novels dann erneut, da war ich aber schon über 30, lebte in Deutschland und sah dieses Medium und dessen Möglichkeiten mit ganz anderen Augen…

Wie übersetzt du die Bildsprache von Comics in Musik?

Es ist ein tolles Wort in diesem Kontext: übersetzen. Ich kann das nicht so gut mit Worten beschreiben, es ist eine Art Alchemie… Manchmal muss ich aber auch sehr viel an meiner Musik für eine Comic-Passage arbeiten, bis ich das Gefühl habe, dass mir diese Übersetzung gelungen ist; viel Improvisation und dann sehr viel Komposition bzw. Festlegen. Aber manchmal passieren diese Prozesse auch schon beim Lesen; ich höre dann die Musik schon „im Kopf“. Auch das Wort ‚BildSprache‘ ist sehr interessant. Musik hat auch sehr viele unterschiedliche „Sprachen“; und als Komponist versuche ich, die richtige Tonsprache für die Bilder und auch für die Handlung und deren Entwicklung zu finden.

Wie wählst du Comic-Vorlagen für deine Stücke aus?

Vor allem nach Inspiration! Wenn ich beim Lesen das Gefühl habe, hier könnte ich als Komponist etwas dazu sagen. Manchmal sind es Werke, die ich (noch) nicht bis zu Ende nachvollziehen konnte. Das Komponieren hilft mir dann, mit anderen Mitteln das Werk zu verstehen. Diese Mittel sind nicht sprachlich, sondern eher assoziativ. Insofern ist das Komponieren für mich dann manchmal wie eine Fortsetzung des Lesens. Manchmal suche ich aber ganz bewusst nach Büchern über ein bestimmtes Thema, wenn es beim Zusammenstellen eines neues Programms wichtig ist, dass die Werke miteinander in Zusammenhang stehen. So war es z.B. bei meinem Konzert im September 2020 in der Gedächtniskirche, das auch als Livestream immer noch zu sehen ist (eine Veranstaltung des Bundesverband Deutscher Stiftungen). An dem Abend ging es um Flucht und Migration, dementsprechend suchten wir auch die Werke dazu aus. Aber auch da konzentrierte ich mich auf diejenigen, die mich inspirierten und für eine Vertonung geeignet waren. Es ist zum Beispiel immer gut, wenn es nicht zu viel Text im Comic gibt, denn das Lesen von langen Texte, unterbricht oft etwas den Fluss des Zuhörens, wenn ich dazu Musik spiele. Bei anderen Konzerten, wie zum Beispiel dem für den Graphic Novel Day des Internationalen Literaturfestivals Berlin 2018 waren die Kompositionen Werkaufträge, d.h. bestimmte Werke wurden für mich gewählt. Das war sehr herausfordernd für mich: Musik für Comics zu schaffen, die ich nicht selbst ausgewählt hätte. Allerdings zwingt dieser Prozess einen aber dazu, noch kreativer zu werden, da man dann neue Wege bzw. andere Ausdrucksmöglichkeiten und Techniken finden, sich sozusagen neu erfinden muss.

 Welche Entwicklungen in der Comicszene findest du aktuell spannend?

Auf der inhaltlichen Seite finde ich es total überwältigend, wie Graphic Novels momentan immer präsenter und auch vielfältiger werden: Es gibt so viele neue Sub-Genres: Comic-Reportagen, Sachcomics, Graphic Biographies, Adaptionen von Romanen,… Auch das Themenfeld wird immer breiter und umfasst heute praktisch alles, gerade insbesondere viele soziale Themen wie z.B. Gender oder Migration, durch die viel Gesellschaftskritik geübt wird. Auf der Form-Seite ist es für mich faszinierend zu sehen, wie das frühere „Bedürfnis“ der Künstler*innen nach einer Teilung in Panels inzwischen sehr oft aufgelöst wird. In der ganzen Art, wie offen Buchseiten inzwischen gestaltet werden, wie die Relation Text-Bild neu gedacht wird, wie immer neue Möglichkeiten dazukommen und wie es auch zu Wechseln innerhalb eines Werkes kommt, sehe ich eine enorme Entwicklung. Dazu kommen noch die „Silent Comic“, Werke die komplett ohne Text auskommen. Diese Werke sind dann hundertprozentig grafisch (was einer eventuellen Vertonung sehr entgegen kommt!)

Welche drei neuen Talente würdest du empfehlen?

Schwer zu sagen, es gibt wirklich viele. Trotzdem: Brecht Evens (Belgien) – Originelle grafische Narrative, überwältige Bildsprache. Pascal Jousselin (Frankreich) mit seiner Serie „Unschlagbar – der einzig wahre Superheld des Comics“ – Original, witzig und spielt sehr klug mit den „Regeln“ des Comics. BACHWALD (Deutschland) – Skurril, überraschend, macht neugierig darauf, wie sich diese Kooperation zwischen den beiden jungen Hamburger Künstlern (Julian Fiebach & Benjamin Gottwald, 7AUF1STRICH-Interview) weiter entwickelt.

Was können Comics, Cartoons und Illustrationen, was andere Medien nicht können?

Illustration lässt viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten und Potential für Emotion und Fantasie zu als Fotografie, das ist ziemlich klar. Comics sind für mich wie sehr private Filme, die ich in meinem Kopf ergänze. Sie schaffen eine Intimität mit ihren Bildern, die es so im Film nicht gibt. Das geschieht auch, weil ich beim Comic sehr nah an den Bilder dran bin: Ich berühre sie wortwörtlich (und sie können mich berühren). Zudem kann ich in meinem Tempo lesen – das macht diesen „Film“ noch persönlicher.

Dein schönstes/schlimmstes Erlebnis während eines Comic-Konzerts?

Es ist immer eine große Freude, wenn Menschen nach dem Konzert zu mir kommen und sagen „Wir werden dieses und jenes Buch jetzt bestellen!“. Das heiß, ich habe es geschafft, sie für diese Werke zu interessieren – oder gar für Comics überhaupt! Oft sind es etwas ältere Menschen, die bis zu meinem Konzert eventuell noch gar nicht richtig mit Comics in Berührung gekommen sind. Sie entdecken, dass auch der Comic eine hohe Kunst ist. Und es freut mich, wenn ich damit der „Szene“ indirekt etwas Gutes tun konnte. Ich sage diesen Menschen auch „Toll, nur tun Sie mir bitte einen Gefallen und bestellen Sie sie nicht bei Amazon & Co., sondern direkt bei den Verlagen oder bei den Comicläden bzw. kleinen Buchhandlungen!“ Während des Konzerts selbst ist es das Allerschönste, wenn ein Kontakt zum Publikum, fast ein intimes Gefühl, entsteht. Das spürt man, oder man hört die Reaktionen auch manchmal direkt. Ich glaube, bei Comic-Konzerten geschieht es insbesondere in den Momenten, wenn Musik und Bildern richtig miteinander verschmelzen. Das schlimmste ist, wenn die Technik plötzlich scheitert. Das passierte zum Glück bisher nicht oft, aber als es passierte, war es hart; ich musste dann improvisieren. Manchmal war die Lösung so gelungen bzw. witzig, dass es dem Konzert gut getan hat – dann ist es wieder ein schönes Erlebnis! Einmal z.B. stürzte das Laptop kurz vor Ende des Abends beim letzten Werk ab. Da spielte ich dann erstmal weiter und als ich aufhörte, sagte ich: „Für den Verlag war das gut, weil Sie jetzt alle das Buch bestellen werden, um zu wissen, ob es so endet, wie ich es spielte oder nicht…“.

Kannst du den Satz: „Mir ist nicht egal, dass…“ für uns vervollständigen?

Mir ist nicht egal, dass es momentan in der Welt Millionen von Lebensarten (Tiere und Pflanzen) gibt, die vom Aussterben bedroht sind. Ich möchte, dass ich und meine Kinder in einer Welt leben, in der es noch Natur gibt. Ohne Natur gibt es keine Kultur; nur Kultur allein macht krank. Wir brauchen die Natur, um uns wieder zu finden, um uns selbst zu verstehen, um zu einem wichtigen Teil in uns zurückkehren zu können. Trotzdem geht es nicht allein um den Nutzen der Natur für die Menschen: Tiere und Pflanzen sollen vor allem um ihrer selbst willen leben dürfen.

Für dieses Projekt möchte ich gerne Werbung machen: 

Für das HOUSE OF ONE: Ein Interreligiöses Haus, das in Berlin entsteht. Es soll gleichzeitig eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge werden, und v.a. ein Ort der Begegnung und Austausch zwischen diesen drei Weltreligionen. Ich finde so ein Projekt total wichtig in unseren Zeiten, und unterstütze es sehr.

Website: itaydvori.com
Youtube: @dvoritay
Facebook: @itaydvori.page

Porträt: Nicole Schneider, gezeichnet beim Comic-Konzert am 21.11.2021 in Darmstadt

Porträt: Nicole Schneider, gezeichnet beim Comic-Konzert am 21.11.2021 in Darmstadt

7AUF1STRICH wird derzeit mit Mitteln aus dem Stipendiatenprogramm von NEUSTART KULTUR gefördert. Herzlichen Dank! Aktuell gibt es wieder neue Stipendien, ich empfehle allen, die journalistische/kulturelle Projekte betreiben, sehr, es dort einmal zu versuchen. Mehr Infos und Anmeldung via soziokultur.neustartkultur.de

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